Ingenieure ohne Grenzen entwickelten in einem Forschungsprojekt ein Konzept zur solarthermischen Wasserdesinfektion unter Verwendung von lokalen Materialien, um Menschen in vielen Ländern die Möglichkeit zu geben, an sauberes Wasser heranzukommen.
Die sichere Versorgung mit sauberem Wasser ist für einen Teil der Weltbevölkerung eine Selbstverständlichkeit. Doch noch immer gibt es zahlreiche Regionen, in denen die Realität anders aussieht. Diese Menschen sind deshalb auf Wasseraufbereitungsmaßnahmen angewiesen.
Der Zugang zu sicherem Wasser und sanitären Dienstleistungen ist ein Menschenrecht und gehört zu den 17 Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung. Daran erinnert der Weltwassertag am 22. März. Weltweit haben derzeit 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. 3,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sicheren Sanitäranlagen, 500 Millionen verfügen nicht einmal über einfachste Latrinen. Etwa vier Milliarden Menschen leben in Regionen, die in mindestens einem Monat pro Jahr von großer Wasserknappheit betroffen sind.
UN-Weltwasserbericht 2022—Pressemitteilung 21.03.2022
Mit Keimen belastetes Wasser ist daher in vielen Regionen der Welt ein Problem. Regenwasser, das zur späteren Verwendung in einer Zisterne gespeichert wird, hat einen großen Nachteil: Aufgrund mikrobiologischer Verunreinigung muss es zunächst abgekocht werden, bevor es getrunken werden kann. Das Abkochen über einem Feuer ist jedoch häufig mit hohen Energiekosten (Holzverbrauch) sowie mit Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Entwaldung und Rauchemissionen verbunden.
Ingenieure ohne Grenzen entwickelt daher eine solarthermische Anlage zur Desinfektion von Wasser. Während eines Forschungsprojekts entsteht mithilfe von thermodynamischen Simulationen und Testanlagen Schritt für Schritt ein zuverlässig funktionierendes und einfach zu bauendes System.
Die erste Idee bestand darin, Thermoventile, die in Motoren den Kühlkreislauf steuern, einzusetzen, um das erforderliche Sieden des Wassers sicherzustellen. Erste Versuche in Kenia zeigten, dass das Konzept grundsätzlich funktioniert und in einem mit Folie bespannten Holzkasten ausreichend Hitze entsteht. Allerdings stellte sich auch relativ schnell heraus, dass Thermoventile nicht zuverlässig genug sind und zuweilen fälschlicherweise nicht ausreichend erhitztes Wasser abgeben.
Daraus folgte im nächsten Schritt die Entwicklung einer Anlage, die ohne Ventile auskommt und gleichzeitig einfach aufzubauen ist. Durch thermodynamische Simulationen wurde eine Möglichkeit gefunden, das Wasser mithilfe von Dampf aus dem Kollektor zu befördern und gleichzeitig sicherzugehen, dass nur ausreichend erhitztes Wasser die Anlage verlässt. Bei Versuchen in Darmstadt zeigte sich, dass die Anlage die mikrobiologische Belastung des Wassers so weit reduziert, dass es trinkbar ist. Seitdem arbeiten die Ehrenamtlichen an der Optimierung dieser Anlage. Das thermodynamische Modell wurde mit Prototypen validiert und so konnten verschiedene technische Merkmale verfeinert werden.
Von Anfang an war klar, dass das Projekt über technische Aspekte hinausgeht. Die Anlage soll nicht nur von der Bevölkerung in strukturschwachen Ländern genutzt, sondern auch mit den dort verfügbaren Mitteln gebaut werden. Ganz nach dem Leitspruch des Vereins Ingenieure ohne Grenzen „Wissen teilen – Zukunft gestalten“ entsteht daher eine ausführliche und für Laien verständliche Bauanleitung, die frei verfügbar ist und jeden, der etwas handwerkliches Geschick mitbringt, befähigt, eine eigene solarthermische Wasserdesinfektionsanlage zu bauen.
Anfang 2017 konnte das Team aus Darmstadt erstmals sehen, wie seine Visionen Wirklichkeit werden, als drei Projektmitglieder nach Tansania reisten, um dort, am Fuß des Kilimanjaros, zwei Anlagen aufzubauen. Die Anlagen wurden von Schülern einer lokalen Berufsschule errichtet, wobei direkt eine erste Version der Bauanleitung auf den Prüfstand gekommen ist. Schnell hat sich gezeigt, dass nicht nur die Anleitung, sondern auch die Technik noch Verbesserungspotenzial besitzt. Auch nach der dreiwöchigen Implementierung konnten die Lehrer und Schüler, die die Anlage betreuen, noch Probleme identifizieren. Beispielsweise ist die Glasscheibe, die Teil des Absorbers ist, aufgrund von Spannungen gesprungen, die durch Hitze entstanden sind. So arbeitet die Gruppe weiter kontinuierlich an Lösungen, um die solarthermische Wasserdesinfektionsanlage zu verbessern.
Es wurden weitere Reisen von angehenden, praktizierenden oder bereits im Ruhestand befindlichen Ingenieure des Projektteams geplant und durchgeführt. Hauptziel war dabei die Langzeitvalidierung der technischen Lösungen, indem weitere Anlagen gebaut und mit Messequipment ausgestattet wurden. Außerdem wurde mit der lokalen NGO Kilimanjaro Childlight Foundation ein neuer Kooperationspartner gefunden. So wurde und wird die Reichweite des Projekts sukzessiv erhöht.
Projektarbeit über Grenzen hinweg mit Partnern, die eine andere Sprache sprechen, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben und denen man sehr selten direkt gegenübersteht, ist nicht einfach. Wie man diese Herausforderung meistert, haben die ehrenamtlich Aktiven u. a. bei dem „Workshop on Intercultural Communication“ gelernt. Dieser und viele andere Workshops wurden und werden regelmäßig von Ingenieure ohne Grenzen veranstaltet und vermitteln den Mitgliedern Fähigkeiten und Kenntnisse in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Projektarbeit, technisches Know-how und Soft-Skills, um ihre Projekte erfolgreich durchführen zu können.
Im Projekt zur solarthermischen Wasserdesinfektion (SoWaDi) wurden im Lauf der vergangenen neun Jahre bereits wichtige Fortschritte erzielt. Die wichtigsten Forschungsergebnisse wurden in wissenschaftlichen Aufsätzen publiziert, um sie in Fachkreisen bekannt zu machen. Die Anlage ist eine Neuentwicklung, die nur durch ehrenamtliche Arbeit und finanzielles Engagement zahlreicher Spender möglich war. Daher soll an dieser Stelle allen Unterstützern herzlich gedankt werden.
Mit technischem Wissen, Infrastrukturprojekten und Bildungsarbeit im In- und Ausland leisten Ingenieure ohne Grenzen als gemeinnützige und unabhängige Organisation einen wichtigen Beitrag in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Regionalgruppe Darmstadt besteht seit dem Frühjahr 2007 und ist hauptsächlich im Bereich der Wasserversorgung und -aufbereitung tätig. „Seit 2008 haben wir den Bau von Zisternen in Kenia gefördert. Das Problem, dass wir dabei erkannt haben, ist, dass es in der Trockenzeit eine Wasserknappheit gibt und vorher gesammeltes, eigentlich sicheres Regenwasser bei langen Standzeiten verkeimt“, erklärt Julius Breuer. Daraufhin wurde nach einer Möglichkeit gesucht, parallel zur Zisterne eine Anlage zur Reinigung des Wassers einzusetzen. „Und das möglichst chlorfrei“, fügt der heutige Projektleiter hinzu. (Julius Breuer ist seit dem 19.04.2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der TU Darmstadt und Projektleiter bei Ingenieure ohne Grenzen.). Bei Ingenieure ohne Grenzen entwickeln seit neun Jahren Ehrenamtliche eine Anlage, die es ermöglicht, mithilfe von Sonnenenergie sicher, autark und ohne den Einsatz von Brennstoff Wasser abzukochen und damit trinkbar zu machen. In dieser Zeit wurden verschiedene Prototypen in Kenia, Tansania und Deutschland gebaut, um die Anlage weiterzuentwickeln.